US-Neokonservativer Bolton: Die ganze Theorie der EU ist schlicht falsch

EU-Fahne / Foto: Xavier Häpe; Lizenz: CC BY 2.0
EU-Fahne / Foto: Xavier Häpe; Lizenz: CC BY 2.0

Von Paul Müller

Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union ist auch jenseits des Atlantik nicht unbemerkt geblieben. Den einflußreichen Neokonservativen und einstigen UNO-Botschafter der USA, John R. Bolton, motivierte die Auszeichnung zu einer vordergründigen schneidigen Abrechnung mit dem Brüsseler Gebilde. Die EU bildet in dem Beitrag letztlich erneuten Anlaß für Bolton, internationale Organisationen und Verträge generell in Frage zu stellen. Bolton ist bekannt als Kritiker von internationalen Organisationen, vertritt statt dessen den globalen Führungsanspruch der USA.

Die Befürworter des „global governance“ – also: Weltregierung, oder Weltinnenpolitik – werden über die Vergabe höchst erfreut sein, schreibt Bolton in einem Aufsatz für die bedeutendste neokonservative Denkfabrik, das American Enterprise Institute. Die EU sei für ihre Unterstützer das Paradigma für die gesamte Welt; ihre Struktur hebelt Nationalismen aus, macht Kriege unmöglich.

Verwunderlich sei diese Haltung, angesichts des desolaten Zustandes der EU, meint Bolton. Die Wirtschaft stagniere, die Eurozone ist in Aufruhr. In den Südländern wächst der Widerstand gegen die deutsche Hegemonie; im Kernland Deutschland das Unbehagen über die Alimentierung des Südens.

„Kurz gesagt, die der EU zu Grunde liegende Theorie ist falsch“, ist sich Bolton sicher. Diese lautet, daß der Nationalismus allmählich erodiert und von einer Art „Europäismus“ abgelöst wird. Diese Idee unterschätze, daß Nationalismus – wie auch Religion und Ideologie – eben nicht lediglich gesellschaftlicher Überbau ist, sondern tiefer sitzt.

Hinzu kommt für Bolton – aus seiner politischen Position völlig konsequent abgeleitet – ein genereller Zweifel am Regierungshandeln. „In der Tat, wenn die Mühen und Anstrengungen des regulierenden Staates auf die Reduzierung der Rolle der gewählten Vertreter und Übertragen ihre Rollen auf Bürokraten in einer fernen Hauptstadt; und die Verschwendung der Fähigkeit, sich gegen feindliche äußere Kräfte zu schützen und zu verteidigen, gerichtet ist, kann die EU das Modell sein, dem man folgt. … Nationale Regierungen, auch in gefestigten Demokratien, sind schwer genug zu kontrollieren. Und je weiter die Regierung von einzelnen Bürgern entfernt ist, desto schwieriger wird es. Wenn die Regierung in Ottawa oder Washington schon arrogant und unnahbar wirkt, was wird auf globaler Ebene geschehen?“

Für Bolton werden durch das gebetsmühlenartige Verweisen auf „globale“ Probleme wie Armut, Krieg, Umweltverschmutzung und Krankheiten die wirklichen Probleme eher versteckt. Internationale Entscheidungsforen verstärken nur die Differenzen über Problemlösungen. Das könne man an den Vereinten Nationen sehen, die „in der großen Schlacht zwischen Freiheit und Kommunismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ überhaupt nichts erreicht hat. (Die UNO ist Lieblingsfeindbild Boltons).

Es gehe auch gar nicht um die wirkliche Lösung von Problemen – sondern nur um die krakenhafte Ausweitung von Macht. Man könne dies an der Debatte um die globale Erwärmung sehen (die von konservativen US-Politiker bis heute geleugnet wird). „Während die wissenschaftliche Debatte über das Ausmaß und die Ursachen der globalen Erwärmung fortgesetzt wird, bleiben die Argumente derer, die mehr internationale Kontrolle über die einzelnen wirtschaftlichen Aktivitäten und Volkswirtschaften wollen, unverändert. Wir können mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass die Befürworter von mehr staatlicher (oder zwischenstaatlicher) Behörden würden genau die gleichen Argumente vorbringen würden, wenn das Problem die globale Abkühlung wäre. Das ist ihr eigentliches Ziel und die globale Erwärmung ist nur das aktuellen Vehikel.“

Auch hier plädiert Bolton für demokratische Diskussionen in Nationalstaaten, anstatt globaler Pläne wie den Klimaabkommen von Kyoto und Kopenhagen (beide werden von den Neokonservativen in den USA strikt abgelehnt).

Leider werde das Thema „global governance“ wohl nicht verschwinden. Doch die eigentliche Frage sei, „wer sollte entsprechend entscheiden: demokratische Völker mit einer Verfassungsordnung oder Regierungsbürokraten mit Verhandlungen in abgelegenen, unerklärlichen internationalen Organisationen?“

Erstveröffentlicht am 17. Oktober 2012 in der Berliner Umschau
Wiederöffentlichung im Blog erfolgte mit Genehmigung der Redaktion „Berliner Umschau“